Theaterfotografie – (k)ein Gestaltungsspielraum für Fotografen?
Szene aus Theaterstück

Überblick

Theaterfotografie – (k)ein Gestaltungsspielraum für Fotografen?

Oft hört man in der Theaterfotografie pauschal die Aussage, dass der/die Fotograf:in keinen Einfluss auf die Szenerie hat und „demütig“ annehmen muss, was auf der Bühne dargeboten wird. Das ist nicht ganz falsch. Aufführungen im Theater bestehen nun einmal aus detailliert durchdachten Konzepten und Abläufen. Trotzdem bleibt ein nicht zu unterschätzender Gestaltungsspielraum für den/die Theaterfotograf:in. Vorhang auf für sieben Gedanken zu diesem Thema.

Licht bewusst wahrnehmen und nutzen

Ja, das Lichtsetup auf der Bühne wird durch das Lichtdesign der Inszenierung fest vorgegeben. Als Theaterfotograf:in hat man somit keinen Einfluss darauf, wieviel Licht in welcher Farbe auf der Bühne zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhanden ist und wo es hinfällt. Im Großen und Ganzen ist auch festgelegt, wo sich in den einzelnen Szenen die Schauspieler:innen auf der Bühne befinden werden und aus welchem Winkel sie somit mit den Scheinwerfern jeweils angestrahlt werden.

Ist man als Theaterfotograf:in aber wirklich beim Thema Licht so machtlos, wie es auf den ersten Blick aussieht? Nun ja, nicht immer. Was man im Regelfall nämlich sehr wohl – zumindest in gewissem Umfang – beeinflussen kann, sind die Position der eigenen Kamera, der eigene Blickwinkel und Standort. Oft reicht es schon, nur einige wenige Schritte weiter nach rechts oder links zu gehen, oder die Höhe der Kamera zu verändern. Noch besser ist es natürlich, wenn man zu einem Standort seitlich von der Bühne wechseln kann. Schon ergibt sich ein verändertes Spiel von Licht und Schatten. Licht, das vielleicht eben noch die Gesichter auf der Bühne frontal von vorne ausgeleuchtet hat, trifft nun als Seitenlicht auf die Szenerie.

Nutzen kann man all das nur, wenn man sich der Wirkung der (vorgegebenen) Lichtrichtungen relativ zum eigenen (veränderlichen) Kamerastandpunkt bewusst ist. Zu unterscheiden sind insbesondere folgende Situationen:

  • Frontallicht / Vorderlicht: Finde eine Position vor/auf der Bühne, in der sich die (Haupt-)Lichtquelle hinter dir als Fotograf:in befindet und somit in Aufnahmerichtung strahlt. Der Vorteil ist, dass das Motiv sehr gut ausgeleuchtet wird und Farben meist sehr gut zur Geltung kommen. Nachteilig kann es sein, dass keine oder nur sehr wenige Schatten zu sehen sind, weshalb das Bild weniger räumliche Tiefenwirkung hat und schnell zweidimensional (flach) wirkt, wenn nicht z.B. durch den Bühnenaufbau eine räumliche Tiefe entsteht.

  • Seitenlicht: Finde seitlich am Bühnenrand eine Position, in der das (Haupt-)Licht von rechts oder links auf die Szene strahlt. Kommt z.B. das Licht von rechts, dann liegt die linke Seite des Motivs im Schatten (und umgekehrt). Durch die Schattenbildung wirkt die fotografierte Szene meist plastischer und dreidimensionaler als bei Frontallicht. Auch die Oberflächenstruktur (z.B. von Kostümen) kommt oft besser zur Geltung. Seitenlicht ist spannend und führt fast immer zu interessanten Bildergebnissen.

  • Gegenlicht: Die Lichtquelle befindet sich hinter dem Motiv und leuchtet somit dich als Fotograf:in an. Der Kontrast von hell zu dunkel ist hoch, Farben werden schlecht oder gar nicht mehr dargestellt. Im Extremfall ist das Motiv nur noch als schwarze Silhouette zu erkennen. Trotz aller dieser Nachteile können Gegenlichtaufnahmen (wenn sie funktionieren) sehr lohnend sein und starke, emotionale Bilder erzeugen.

  • Oberlicht: Das Licht kommt von oben und leuchtet hinunter auf die Szene. Das führt zu sehr kurzen Schatten. Vor allem im Gesicht wirkt sich dieses Licht oft sehr unvorteilhaft aus (wenn nicht durch weitere Lichtquellen gegengesteuert wird). Es bilden sich dunkle Schatten im Bereich der Augenhöhlen (daher auch keine Lichtreflexion in den Augen) und ein dunkler Schatten unter der Nase. Kommt das Oberlicht nicht gerade senkrecht von oben sondern schräg im steilen Winkel von vorne, entsteht oft ein gut brauchbares Butterfly-Licht.

  • Unterlicht: Das Licht beleuchtet das Motiv von unten, z.B. mit einem Scheinwerfer vom Boden aus. In der Natur kommt das so gut wie nie vor. Daher wirkt dieses Licht auf uns sehr unnatürlich. Gleichzeitig kann es sehr theatralisch und dämonisch wirken, vor allem wenn es auf ein Gesicht trifft. In Theatern entstand dieses Licht früher oft unfreiwillig durch das so genannte Rampenlicht am Boden des vorderen Bühnenrands.

Hier einige Beispiele, in denen ich bewusst meine Position verändert habe, um von der dadurch veränderten relativen Lichtrichtung zu profitieren:

Die Wahl des „richtigen“ Augenblicks

Wer sich mit Fotografie beschäftigt, stolpert irgendwann über den Meister des „entscheidenden Augenblicks“ Henri Cartier-Bresson. Seine Bilder zeichnen sich dadurch aus, dass er Alltagsszenen auf der Straße geduldig beobachtete und das Foto im entscheidenden (richtigen) Augenblick am Höhepunkt des Ereignisses machte. So gelang es ihm, sich plötzlich ergebende Aktionen im Moment ihrer maximalen Zuspitzung einzufangen, dabei die entscheidenden charakteristischen Gesten von Personen festzuhalten und geradezu ideale Bildkomposition zu verwirklichen. Auch heute noch scheinen diese Bilder zu uns zu sprechen und es ist schwer, sich ihrer Wirkung zu entziehen.

Wie kann sich der/die Theaterfotograf:in all das zunutze machen? Wie bei der Street- und Reportagefotografie von Henri Cartier-Bresson ist auch in der Theaterfotografie genaues Beobachten und schnelles Handeln im entscheidenden Moment notwendig. Mimik und Gestik spielen auf der Bühne die entscheidende Rolle. Jede Geste und jede Interaktion auf der Bühne haben einen Höhepunkt. Oft stoppt sogar für einen Augenblick die Bewegung und der/die Schauspieler:in hält kurz inne um den Ausdruck noch zu verstärken. Das ist für den/die Fotograf:in der richtige Augenblick um den Auslöser zu drücken.

Der Gestaltungsspielraum in der Theaterfotografie liegt somit auch in der Wahl des richtigen, entscheidenden Augenblicks. Seelenlose, technisch korrekt belichtete Bilder herzustellen ist heute einfacher als je zuvor. Theaterfotografie ist aber mehr. Sie lebt von den Menschen, die auf der Bühne mit vollem Einsatz den von ihnen gespielten Charakteren Leben einhauchen und Geschichten erzählen. Sie mit allen Emotionen einzufangen und für die Nachwelt zu konservieren, sollte der Anspruch sein, an dem man sich als Fotograf:in messen lassen sollte.

Räumlichkeit erzeugen, Requisiten und Bühnenbild bewusst mit einbeziehen

Ein alter Merksatz in der Fotografie lautet: „Vordergrund mach Bild gesund.“ Übersetzt heißt das, dass ein Bild auf den Betrachter ansprechender wirkt, wenn es aus hintereinander liegenden, vielleicht sogar überlappenden Bildebenen aufgebaut ist. So wirkt es beispielsweise interessanter, wenn mehrere Personen bzw. Motive nicht nebeneinander auf einem Bild angeordnet werden, sondern versetzt in unterschiedlichem Abstand zum Fotografen. Dadurch erhält das Bild mehr Tiefenwirkung, es wirkt räumlicher und dreidimensionaler. Eventuell entsteht für den Betrachter auch eine besondere Spannung, weil das Hauptmotiv (zB eine Person) durch ein Objekt im Vordergrund (zB einen Strauch, einen Fensterramen) zum Teil verdeckt oder eingerahmt wird. Mit etwas Glück entsteht dann vielleicht sogar die Illusion des geheimen Beobachters oder der Eindruck, unmittelbarer am Geschehen beteiligt zu sein.

Der bewusste Einsatz von Vorder-, Mittel und Hintergrund in der Theaterfotografie kann sehr lohnend sein. Oft findet sich auf der Bühne Requisiten wie Tische, Stühle oder andere Objekte, die helfen können, zusammen mit dem übrigen Bühnenbild eine interessante Bildkomposition zu erzielen.

Objektiv und Bildwirkung

Auch das verwendete Kameraobjektiv hat einen erheblichen Einfluss. Seine Brennweite bestimmt, wie stark sich der Weitwinkel- oder ein komprimierender Tele-Effekt auswirkt.

Verwendet man beispielsweise ein weitwinkeliges Objektiv (z.B.: 24, 28 oder 35 mm im Vollformat), dann erscheinen die Personen im Vordergrund unmittelbarer und näher, ihr Spiel fühlt sich intensiver an, während der Hintergrund weiter entfernt und kleiner erscheint.

Szene aus Theaterstück
Vlad Gavris | Geschichte einer Tigerin | Pygmalion Theater

Verwendet man ein Standardobjektiv (ca. 50 mm gerechnet auf Vollformat), dann wird auf dem Bild im Großen und Ganzen das abgebildet, was man auch mit dem menschlichen Auge im normalen Blickfeld hat. Das Bild, die Proportionen und das Verhältnis von Vorder- und Hintergrund wirken dann auf uns sehr vertraut und „normal“.

Verwendet man ein Teleobjektiv (ab ca. 85mm im Vollformat und mehr), dann wird nur ein kleinerer Ausschnitt der Wirklichkeit gezeigt, das Bild meist weniger räumlich, eher flach und es ist abgesehen vom Hauptmotiv kaum noch ein Hintergrund zu erkennen. Der Effekt verstärkt sich, je größer die Brennweite ist.

Diese unterschiedliche Wirkung der verschiedenen Brennweiten kann man sich in der Theaterfotografie gut zunutze machen. Wenn beispielsweise eine intensive Szene so unmittelbar wie möglich eingefangen werden soll, und man sehr nahe an die Personen herangehen kann (zB während den Proben) dann kann sich ein eher weitwinkeliges Objektiv mit 28 mm oder 35 mm anbieten. Damit können sehr unmittelbare, dramatische Momente eingefangen werden. Zu beachten ist aber, dass gewisse Verzerrung der Proportionen auftreten, die zum Randbereich des Bildes hin stärker werden. Außerdem setzt das „eindringen“ des/der Fotograf:in auf die Bühne ein gewisses Vertrauensverhältnis zu den Schauspieler:innen voraus.

Spiel mit Schärfe und Unschärfe

In der Theaterfotografie wird wegen dem wenigen vorhandenen Licht oft mit weit geöffneter Blende fotografiert (d.h. Blende f 2,8 oder wenn möglich sogar f 1,4 oder f 1,2). Daraus ergibt zwangsläufig ein nur recht kleiner Schärfebereich im Bild. Bei Weitwinkel-Objektiven wirkt sich dieser Effekt weniger stark aus als bei Teleobjektiven. Außerdem wird der Effekt bei geringem Abstand zum Motiv verstärkt, während er sich abschwächt, je weiter man vom fokussierten Motiv entfernt ist. Da das menschliche Auge automatisch beim Betrachten eines Fotos den schärfsten Bereich sucht und auf diesen fokussiert, kann gezielt mit dem Spiel von Schärfe und Unschärfe der Blick des Betrachters gesteuert werden. Der sich in der Unschärfe verlierende Bildtteil eröffnet zudem oft Raum für eigene Interpretationen.

Szene aus Theaterstück
Philipp Kaplan, Vlad Gavris | Amerika | Pygmalion Theater

Gestaltungsgesetze bewusst einsetzen

Es gibt zahlreich Gestaltungsgesetze, die uns dabei helfen, interessante Bildkompositionen zu erzielen. Im Wesentlichen handelt es sich bei diesen „Gesetzen“ um Anwendungsbeispiele der Wahrnehmungspsychologie, die bei richtiger fotografischer Verwendung dem/der Bildbetrachter:in auf unbewusster Ebene helfen, das Foto leichter erfassen und „lesen“ zu können.

In der westlich geprägten Welt sind wir z.B. gewohnt, die lateinischen Schriftzeichen von links nach rechts zu lesen. Deswegen „lesen“ wir auch Bilder unbewusst von links oben nach rechts unten. Es macht daher Sinn, in unserem Kulturkreis den Bildaufbau entsprechend zu gestalten. Eine Person bewegt sich daher besser von links (Vergangenheit) nach rechts (Zukunft) durch das Bild.

Abgesehen von solchen kulturabhängigen Faktoren gibt es auch zahlreiche universelle Einflussfaktoren. So wandert der Blick normalerweise zuerst in die hellen Bildbereiche, bevor er sich den dunklen zuwendet. Laufen Linien durch das Bild (z.B. in der Form eines Geländers oder der Bühnenkante) dann leiten sie ebenfalls den Blick. Es macht daher oft Sinn, das Hauptmotiv am Ende oder Treffpunkt von Linien zu platzieren.

Das Gesetz der Prägnanz führt dazu, dass wir versuchen, optische Eindrücke in möglichst einfache Formen zu zerlegen um sie besser und einfacher erfassen können. Daher wirken einfach angeordnete Motive (Kreis, Viereck, Dreieck) oft ansprechend und einprägsamer.Das Gesetz der Symmetrie sorgt wiederum dafür, dass wir symmetrische Formen in Bildern harmonischer empfinden. Bildelemente die eng beieinander angeordnet sind, werden eher als zusammengehörig wahrgenommen (Gesetz der Nähe). Hebt sich eine Figur (zB farblich) deutlich vom Hintergrund ab, spricht man vom Gesetz der Figur-Grund-Trennung.

Es gibt noch zahlreiche andere „Gestaltungsgesetze“. Wer sich damit näher beschäftigen möchte, dem Empfehle ich eine Recherche auf Google oder z.B. die Bücher „Das Foto“ und „Das Motiv“ von Harald Mante. Natürlich kann man in der Theaterfotografie nicht immer die Gestaltungsgesetze umsetzten. Das ist aber auch gar nicht notwendig. Oft reicht es schon, den einen oder anderen Aspekt bei der Auswahl des Bildausschnitts und der Gewählten Perspektive zu berücksichtigen.  

Beziehungen darstellen

Eng verbunden mit dem Thema Bildkomposition ist die Darstellung von Beziehungen zwischen Objekten und – in der Theaterfotografie häufiger – Personen. Das kann ein kleiner Blick oder eine beiläufige Geste sein. Sehr wirkungsvoll ist es immer, wenn ein Dreieck aus drei Personen gebildet wird. Wer schaut wohin? Wer interagiert mit wem? Wohin Blicken die einzelnen Personen? Was sagt uns ihre Körperhaltung? Alle diese Aspekte spielen eine Rolle und sagen uns so viel über die Situation, selbst wenn wir das Stück und seine Handlung nicht kennen.

Szene in Theaterstück.
Balázs Pohl, Philipp Kaplan, Vlad Gavris | Die Schachnovelle | Pygmalion Theater

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Wenn du bis hierher gelesen hast, interessierst du sich vielleicht auch für meine 9 Tipps für bessere Theaterfotos oder für die Frage, warum es als Theaterfotograf:in besser sein kann, das eigene Ego hinten anzustellen.

Bild von Paul Hesse

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