Theaterfotograf? Kill your ego!
Das Fotografieren im Theater hält zahlreiche technische Herausforderungen bereit. Das Beherrschen der Kameratechnik ist wichtig. Hier findest du dafür 9 Tipps und eine Checkliste. Abgesehen davon ist das Fotografieren im Theater aber vor allem eine persönliche Herausforderung. Der Theaterfotograf muss sich auf das Abenteuer Theater und die Theaterszene einlassen können. Er taucht in eine abgeschottete Welt ein, in der er vor allem eines ist: ein Fremdkörper. In diesem Beitrag behandle ich daher einige Aspekte, die man beachten sollte, um als Fotograf in der besonderen Umgebung einer Theaterbühne zu bestehen.
Mensch und Theater
Jeder Theateraufführung gehen langwierige Proben und umfangreiche Vorbereitungen voraus. Je näher der Tag der ersten Aufführung kommt, desto größer ist die Aufregung im Ensemble und das Lampenfieber. Es kann daher leicht passieren, dass sich der Fotograf plötzlich bei den Proben in einer angespannten Atmosphäre wiederfindet. Umso wichtiger ist es dann, als Theaterfotograf selbst Ruhe und Gelassenheit auszustrahlen, und den laufenden Betrieb und die Proben möglichst nicht zu stören. Nur so können professionelle Fotos entstehen, die einen echten Mehrwert für das Theater darstellen. Ein schönes Beispiel für eine gelungene Integration der Fotografin ins Ensemble zeigt die Ausstellung über die von Theaterfotografie von Christine de Grancy im Theatermuseum Wien.
Tipp: Mache dich als Fotograf vorab mit den Anwesenden so weit als möglich bekannt. Sei dabei aber nicht aufdringlich. Kläre mit den Verantwortlichen (z.B. dem/der Regisseur:in) wo und in welchen Bereichen des Bühnen- und Zuschauerraums du dich bewegen darfst. Achte darauf, möglichst wenig Aufmerksamkeit auf dich zu ziehen. Dunkle Kleidung und leises Schuhwerk leisten hier einen erheblichen Beitrag. Fotografiere so lautlos wie möglich. Bleibt der Theaterfotograf auf diese Weise auch selbst unsichtbar, so entstehen doch gerade deshalb oft die ehrlichsten Fotos vom Theaterstück und den Leistungen der Darsteller:innen auf der Bühne.
Akzeptiere den Kontrollverlust, bleibe spontan
Die entscheidenden Dinge im Leben geschehen eben oft nachts im Regen am Treffpunkt von vier Kartenecken. Der Theaterfotograf ist und bleibt ein Meister der Improvisation. Er ist dem Bühnenlicht, der Inszenierung, den Schauspielern auf der Bühne und allen anderen denkbaren und undenkbaren Widrigkeiten des Spielbetriebs schutzlos ausgeliefert. Anders als im Fotostudio hat er hier – abgesehen von seiner eigenen Kamera – gar nichts unter Kontrolle.
Wesentlich sind daher die Bewusstmachung und Akzeptanz, dass Pläne gut sind, aber nicht immer alles planbar ist oder auch tatsächlich nach Plan verläuft. Und das ist aus meiner Sicht gut so! Die besten Bilder entstehen oft spontan, aus der Inszenierung heraus.
Tipp: Nimm dir den Erfolgsdruck. Auch der beste Theaterfotograf wird nie alles und jede Szene perfekt einfangen können. Zudem steht einem schnell der eigene Perfektionismus im Weg. Subjektiv stimmt schnell etwas nicht mit einem Foto, dem Blickwinkel, der Brennweite oder dem Licht. Das Mantra könnte daher lauten: Loslassen, mitgehen mit der Inszenierung egal was kommt, und das Beste daraus machen.
Bereite dich vor und kenne das Theaterstück (soweit möglich)
Je nach der Neuheit und Bekanntheit des Stücks wird dir dessen Ablauf mehr oder weniger bekannt sein. Dabei kommt es auch darauf an, wie intensiv du als Theaterfotograf vielleicht schon in die bisherigen Vorbereitungen und Proben für das Stück eingebunden warst. Hat man bereits über mehrere Monate hinweg die Entstehung des Stücks dokumentiert, ist der Wissensstand sicher ein anderer, als wenn man erst bei der Generalprobe oder am Premierenabend zum ersten (und einzigen) Mal die Chance hat das Stück zu sehen und zu fotografieren.
Es ist jedenfalls ratsam, sich so gut wie möglich vorzubereiten. Bringe daher vorab so viel wie möglich über das Stück und seine Abläufe in Erfahrung. Dann ist es auf jeden Fall leichter, während der Aufführung die wesentlichen Akteure und ihre Beziehungen zueinander schnell zu identifizieren und wesentliche Momente des Stücks vorauszusehen.
Tipp: Bei bekannten Stücken reicht es oft aus, sich die Kurzbeschreibung im Internet durchzulesen (Wikipedia sei Dank!). Hilfe kommt auch manchmal von unerwarteter Seite. Einmal hat mir direkt vor einer Aufführung der Beleuchter beiläufig erzählt, dass an einer bestimmten Stelle im Stück von rechts Nebel auf die Bühne geblasen wird. Das hat es mir ermöglicht, mich darauf einzustellen und richtig zu positionieren.
Emotion vor Technik und Perfektionismus
David duChemin schreibt in seinem Buch Das Herz der Fotografie „Es gibt auf der Welt genügend Bilder, die uns zeigen, wie etwas aussieht. Zeigen sie uns, wie sie sich anfühlt.“ Ich finde, diese Aufforderung ist in unserer heutigen Zeit wichtiger als je zuvor. Wir alle kennen Fotos, die technisch tadellos sind, und trotzdem nichts in uns auslösen. Nun könnte man natürlich sagen, dass Theaterfotografie in dem Umfang, in dem sie Reportagefotografie ist, auch nur die sichtbare Wirklichkeit abbilden soll. Das mag schon sein, aber am Ende des Tages wird sich niemand bei einem Foto an die perfekte Belichtung und das einzigartige Histogramm erinnern.
Es sind der Ausdruck, die Farben, das Spiel der abgebildeten Personen, Licht und Schatten und nicht zuletzt die vom Fotografen gewählte Bildkomposition, die den Betrachter in ihren Bann ziehen und idealerweise eine emotionale Verbindung schaffen.
Tipp: Für mehr Emotion und Nähe in meinen Fotos nehme ich zwischendurch gerne mal ein wenig Bildrauschen oder eine leichte Verwackelung in Kauf.
Kill your ego
All das zeigt, dass zu den zentralen Eigenschaften eines Theaterfotografen jedenfalls folgendes gehört: echtes Interesse an der Theaterszene, Respekt für das Theater und alle seine Akteur:innen, Ruhe, Fokus, starke Nerven, Spontanität, Flexibilität und vor allem hohe Resilienz, sehr gute Kenntnis der Kameratechnik ohne übertriebenem Perfektionismus, gutes Auge für Lichtstimmungen und Aktionen auf der Bühne, Teamplayer. Die Liste kann sicher noch weiter ergänzt werden.
Alle diese Eigenschaften kann man neudeutsch auch unter dem Begriff „kill your ego“ zusammenfassen. Es geht bei der Theaterfotografie eben nicht um den Fotografen und sein „Ego“. Stattdessen muss er sich auf das Spiel vor seiner Linse in Demut einlassen. Gerade dieses Spiel mit dem Unbekannten macht den Reiz dieser fotografisch anspruchsvollen Disziplin aus. Hier findest du einen Beitrag, in dem ich mich mit dem Thema Fotograf, Theater und Ego befasst habe.
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